Ein Gespenst geht um

Eine Filmbesprechung

SPECTRE ist zurück. Im 24. James-Bond-Film bekommt es der Agent mit der Lizenz zum Töten mit der Verbrecherorganisation SPECTRE zu tun. SPECTRE steht für Special Executive for Counterintelligence, Terrorism, Revenge and Extortion. Ins Deutsche übersetzt, bedeutet das Wort Schreckgespenst. Die Organisation um Ernst Stavro Blofeld (Kennzeichen: Nehru-Jacke, weiße Perserkatze, Siegelring mit Krake) war in den Sean-Connery-Filmen James Bonds Erzfeind. SPECTRE trat bislang in sieben James-Bond-Filmen in Erscheinung. Seit Diamantenfieber (1971) bzw. dem inoffiziellen James-Bond-Film Sag niemals nie (1983) galt die Organisation als zerschlagen. Doch wie heißt es am Anfang des neuen Bond-Films: Die Toten leben.

Die Auferstehung von SPECTRE im Kino war möglich, nachdem ein jahrzehntelanger Rechtsstreit beigelegt wurde. Ian Fleming, der Schöpfer von James Bond, hatte Ende der 1950er Jahre zusammen mit Kevin McClory und Jack Whittingham an einem Drehbuch für eine Fernsehserie gearbeitet. Als daraus nichts wurde, verarbeitete Fleming einige der Ideen in seinem Roman Feuerball. Ein Rechtsstreit war die Folge. Dabei fielen die Filmrechte für den Roman Feuerball, in dem Blofeld und SPECTRE das erste Mal vorkommen, an Kevin McClory. Feuerball sollte ursprünglich der erste James-Bond-Film sein. Die beiden Prozenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman hatten von Ian Fleming die Filmrechte erworben. Nachdem jedoch die Rechte für Feuerball nicht bei Fleming lagen, wurde James Bond jagt Dr. No zum ersten Film der Reihe. Nach dem sensationellen Erfolg der drei ersten Filme beschlossen die James-Bond-Produzenten Feuerball (1965) zusammen mit Kevin McClory zu produzieren. McClory wurde am Gewinn beteiligt, verpflichtete sich aber, den Stoff zehn Jahre lang nicht neu zu verfilmen. Doch sofort nach Ablauf der Frist begann McClory mit den Planungen zu einem Remake von Feuerball. Wieder ging es vor Gericht. Die Produzenten der James-Bond-Reihe konnten Sag niemals nie (1983) jedoch nicht verhindern. Seitdem hatte McClory wiederholt versucht, einen neuen James-Bond-Film zu produzieren und die ihm zugesprochenen Filmrechte zu verkaufen. Kevin McClory starb 2006 im Alter von 80 Jahren. Die Produzenten der „offiziellen“ James-Bond-Filme einigten sich schließlich 2013 mit den Erben von Kevin McClory und erwarben die Filmrechte an Feuerball – inklusive den Rechten an Blofeld und SPECTRE.

Mit SPECTRE wollten die Bond-Macher den großen Erfolg von Skyfall (2012) noch toppen. Skyfall hatte 1,1 Milliarden US-Dollar eingespielt und gilt für viele als bester Film der James-Bond-Reihe. Dabei war klotzen, nicht kleckern angesagt. „Dieser Film ist viel aufwendiger“, so Regisseur Sam Mendes. SPECTRE soll 300 Millionen US-Dollar gekostet haben. Er gilt damit als einer der teuersten Filme aller Zeiten. Produzentin Barbara Broccoli will die gigantischen Kosten zwar nicht bestätigen, legt aber Wert darauf, „dass wir das Geld auf der Leinwand gelassen haben.“ In der Tat kann der neue James-Bond-Film spektakuläre Schauwerte bieten. Allein die Schauplätze: Mexiko, Rom, Österreich, Marokko, London. Die Dreharbeiten an exotischen Originalschauplätzen heben den Film aus der Masse an Actionfilmen hervor, machen ihn aber auch teuer. Teuer sind auch die Autos, die in den Bond-Filmen zu Schrott gefahren werden. In SPECTRE liefert sich Bond in einem Aston Martin DB10 eine wilde Verfolgungsjagd mit einem Jaguar C-X75 auf den Straßen Roms – vorbei an Kolosseum und Petersdom. Für die Bildzeitung ist diese Verfolgungsjagd reinstes „Autoballet“. „Dieser Film ist wie Beethovens Fünfte Sinfonie.“, meint Produktionsdesigner Dennis Gassner voller Stolz: „Bababa-Baaa!“

Besonders spektakulär ist die Vortitelsequenz in der 22-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt. Laut Produzent Michael G. Wilson „die aufwendigste Eröffnungssequenz, die wir je gedreht haben.“ Als Kulisse diente der Tag der Toten, ein mexikanischen Feiertag, an dem mit einem farbenprächtigen Volksfest der Verstorbenen gedacht wird. Der Tag der Toten wurde extra für den Film zum Leben erweckt. Mit 1500 kostümierten Statisten und gigantischen Skeletten. Daniel Craig alias James Bond jagt indes im historischen Zentrum von Mexiko-Stadt einem Schurken hinterher, der mit einem Hubschrauber zu fliehen versucht, Bond aber nur schwer abschütteln kann - trotz 360-Grad-Salto des Hubschraubers. Die Vortitelsequenz ist großartig, hat aber auch viel Geld gekostet. Angeblich wurden die Dreharbeiten mit 20 Millionen US-Dollar an mexikanischen Filmfördergeldern unterstützt, unter der Bedingung, dass sich die Stadt von ihrer schönen Seite zeigen kann und ein mexikanisches Bond-Girl mitspielt. Die FAZ nennt SPECTRE sogar den „längsten Werbespot der Welt“. Der Anzug von Tom Ford, die Uhr von Omega, die Unterhose von Sunspel: Viele Markenartikler dürfen ihre Produkte mal mehr, mal weniger sichtbar im Film platzieren. Darauf angesprochen, meinte Daniel Craig scherzhaft: „Wenn es sein muss, trinke ich sogar ein verdammtes Heineken-Bier, wenn man uns dermaßen viel Geld dafür bezahlt.“ Manche Produkte sind jedoch nicht gut genug für Bond. Das Sony Xperia Z5 zum Beispiel. Trotz eines millionenschweren Angebots lehnten es Daniel Craig und Regisseur Sam Mendes ab. Das Handy bekam schließlich Miss Moneypenny.

Die Anekdote mit dem Handy wurde übrigens von Wikileaks verbreitet. Im November 2014 wurde Sony Pictures, der Filmverleih der James-Bond-Filme, Opfer eines Hacker-Angriffes. Der E-Mail-Verkehr des Filmstudios, aber auch Drehbücher, wurden illegalerweise kopiert und waren daraufhin im Internet zugänglich. Darunter war auch eine frühe Drehbuchversion von SPECTRE sowie E-Mail-Verkehr zwischen den Bond-Produzenten und Sony-Pictures. Mutmaßlich nordkoreanische Hacker hatten sich in das Computersystem des Filmstudios gehackt. Man wollte verhindern, so hieß es, dass die Komödie „The Interview“, die von einem fiktiven Mordkomplott gegen den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un handelt, in die Kinos kommt. Die meisten der Dokumente waren schon kurze Zeit später im Internet nicht mehr auffindbar, doch die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte im Mai 2015 mehr als 170.000 E-Mails und zehntausende Dokumente, samt Suchfunktion. Die gehackten E-Mails und Dokumente sollen die enge Verbindung des Filmstudios mit dem Weißen Haus und der Rüstungsindustrie dokumentieren, so die Begründung von Wikileaks. Doch tatsächlich wurden meist nur Geschichten über Klatsch und Tratsch von der Presse aufgegriffen. Für Bond-Produzentin Barbara Broccoli war der Hackerangriff auf Sony Pictures jedenfalls ein großer Schock. „Ein Eingriff in unsere Privatsphäre“.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Thema Überwachung auch Gegenstand von SPECTRE ist. Die Doppelnull-Abteilung soll abgeschafft werden. Drohnen und totale Überwachung sollen Bonds Job übernehmen. Big Brother und Edward Snowden lassen grüßen. „Die Öffentlichkeit hat das Gefühl, dass die Leute, die früher die Bösen ausspionierten, sich nun gegen die Allgemeinheit wenden.“, erklärt Mendes den politischen Kontext des Films. „Das muss man aufgreifen, wenn man heute einen Agententhriller macht.“ SPECTRE zeigt zudem eine weitere Station auf „Bonds emotionaler Reise“ (Mendes). James Bond wird erneut mit seiner Kindheit konfrontiert. In Skyfall erfuhren die Zuschauer, dass James Bonds Eltern bei einem Kletterausflug starben, als er 12 Jahre alt war. In SPECTRE wird ein weiterer Lebensabschnitt erhellt. Nach dem Tod seiner Eltern kommt James in die Obhut von Hannes Oberhauser, lernt von seinem Ziehvater das Ski-Fahren und Klettern. Ian Fleming hatte in der Kurzgeschichte Octopussy diese Episode beschrieben. Der Film nimmt dies auf und schreibt die Geschichte fort. So kam Hannes Oberhauser mit seinem Sohn Franz bei einem Lawinenunglück ums Leben. Zumindest dachte das James Bond bislang.

Bonds Besuch bei der Psychologin Dr. Madeline Swan dient selbstverständlich nicht der Verarbeitung dieses Kindheitstraumas. Vielmehr bring sie ihn auf die Spur von SPECTRE. Angeblich sieht man in Swans Behandlungszimmer auch ein Rezept für Schmerzmittel, Angstlöser und Viagra - ausgestellt für einen gewissen J. B. Ein kleiner Gag der Filmcrew. Dr. Madeline Swan, das Bond-Girl, wird von der Französin Léa Seydoux gespielt. Ein Bond-Girl „mit Hirn“, wie Seydoux in Interviews betonen muss. Die Schauspielerin ist vor allem aus französischen Autorenfilmen bekannt, machte aber auch schon Tom Cruise in Mission: Impossible – Phantom Protokoll das Leben schwer. Bond-Girl Nummer zwei wird von der verführerischen Monica Bellucci gespielt. Mit 51 Jahren „Das älteste Bond-Girl aller Zeiten“ (Gala). Léa Seydoux war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 30 Jahre alt. Der 47-jährige Daniel Craig schläft jedenfalls mit beiden Frauen.

Nachdem Bonds „geliebte M“ (alias Judi Dench) in Skyfall (2012) starb, übernahm Ralph Fiennes (Lord Voldemort aus Harry Potter) als neuer M die Leitung des MI6. Auch Q (Ben Whishaw) und Miss Moneypenny (Naomie Harris) sind wieder dabei. 007, M, Q und Moneypenny haben es diesmal innerhalb der eigenen Reihen mit Feinden zu tun. Nicht unüblich im modernen Actionfilm. Siehe Mission: Impossible – Rogue Nation (2015). Der Chef des Centre for National Security, genannt C, will ein weltweites Überwachungsprogram einführen – trotz des tiefgreifenden Einschnitts in die Privatsphäre. Auch dieses Motiv ist im heutigen Actionkino nicht neu. Vergleiche etwa The Return of the First Avenger (2014). C wird von Andrew Scott gespielt, der mit der englischen Fernsehserie Sherlock als Sherlock Holmes Gegenspieler Moriarty bekannt wurde. Der Wrestler Dave Bautista (Guardians of the Galaxy) macht als wortkarger Killer in der Tradition von Odd Job und Beißer 007 das Leben schwer. Er liefert sich mit Bond wilde Verfolgungsjagden und eine heftige Prügelei. Im ganzen Film spricht Bautista nur ein einziges Wort: „Scheiße.“

Kopfschmerzen bereitet Bond jedoch Ernst Stavro Blofeld. Eine Maus (!) bringt ihn auf die Spur des Katzenliebhabers und Kopfes der krakenhaften Geheimorganisation SPECTRE. Gespielt wird Blofeld vom zweifachen Oscarpreisträger Christoph Waltz (Inglourious Basterds, Django Unchained). „Ich bin der Urheber all deiner Schmerzen.“, verrät Blofeld dem verblüften Bond. Es zeigt sich, dass Blofeld in allen bisherigen Craig-Bonds im Hintergrund die Fäden gezogen hat. „Wir haben eine Handlungslinie, die mit Casino Royale begann, sich in Ein Quantum Trost fortsetzte und jetzt über Skyfall in diesen Film führt. So etwas hat es bei Bond noch nicht gegeben.“, erklärt Daniel Craig, der auch Mitspracherecht beim Drehbuch hatte. Casino Royale (2006), Ein Quantum Trost (2008), Skyfall (2012): SPECTRE verbindet sie alle. Filmübergreifende Handlungen sind gerade beliebt (z.B. Die Tribute von Panem, Der Hobbit). Die bisherigen 23 James-Bond-Filme waren bislang nur lose miteinander verbunden. Zwar war Ernst Stavro Blofeld in den ersten Bond-Filmen der 1960er James Bonds Erzfeind, sein Aussehen/Schauspieler wechselte jedoch von Film zu Film. Kurios auch, dass Bond in Im Geheimdienst Ihrer Majestät (1969) anfangs unerkannt blieb, obwohl er Blofeld bereits im vorherigen Film Man lebt nur zweimal (1967) gegenüberstand. Blofeld will James Bond in SPECTRE nicht nur aus persönlichen Gründen töten, der Geheimagent kommt ihm vielmehr auch bei seinen Weltherrschaftsplänen in die Quere. Denn in Wirklichkeit steckt der Chef von SPECTRE hinter dem weltweiten Überwachungsprogram. Dieses System würde ihm totale Kontrolle und totale Macht ermöglichen. Denn „Information ist alles.“, so Blofeld.

SPECTRE ist ein großes Spektakel. Der Film bietet beste Unterhaltung. Trotzdem scheiden sich die Geister an SPECTRE. Nach dem Urteil der meisten Filmkritiker ist der Film „Gut, aber nicht so gut wie Skyfall“. Im Internet finden sich indes sehr viele negative Kritiken – den mehr als sieben Millionen Kinozuschauern in Deutschland zum Trotz. SPECTRE hat vermutlich etwas zu viel von allem. Zum einen verkörpert Daniel Craig einem harten, verletzlichen und realistischen Bond. Gleichzeitig bietet der Film aber auch das Augenzwinkern der Roger-Moore-Ära und Bond-typische Bigger-than-life-Kulissen. Der Film steckt dabei voller nostalgischer Reminiszenzen an die frühen James-Bond-Filme, mal deutlich (Aston Martin DB5, Ernst Stavro Blofeld), mal weniger deutlich (Blofelds Perserkatze, weißer Smoking á la Goldfinger). Selbst in Teaser, Trailer und Filmplakaten konnten kundige Bond-Fans Assoziationen zu früheren Filmen entdecken. In SPECTRE versuchten die Produzenten den modernen Bond mit dem klassischen Bond zu vereinen. Einige Zuschauer störten sich offenbar an den modernen, andere wiederum an den klassischen Elementen. Weltweit erzielte der Film jedenfalls ein Einspielergebnis von sensationellen 880 Millionen US-Dollar. Die Konkurrenz im Agentengenre hielt Bond damit deutlich auf Abstand (Mission: Impossible – Rouge Nation: 682 Millionen US-Dollar). Das Einspielergebnis von Skyfall (1,1 Milliarden US-Dollar) konnte der Film zwar nicht toppen, trotzdem zählt SPECTRE, auch inflationsbereinigt, zu einem der erfolgreichsten James-Bond-Filme. Der Film rangiert in der Bestenliste auf Platz vier – nach Skyfall, Feuerball und Goldfinger.

Regisseur Sam Mendes (Oscar für American Beauty) hatte auch schon den Vorgänger Skyfall inszeniert. SPECTRE hatte er zunächst eine Absage erteilt. „Mit Skyfall hatte ich all meine Ideen für einen Bond-Film erst einmal ausgeschöpft.“, begründet Mendes seine ursprüngliche Entscheidung. Die Bond-Produzenten verschoben den neuen Film extra um ein halbes Jahr, um Mendes zur Rückkehr zu bewegen. Mit SPECTRE ist für Mendes das Thema James Bond jedoch abschlossen. „Ich habe jetzt ein Gefühl der Vollständigkeit, dass ich am Ende von Skyfall nicht hatte.“, so der Regisseur. „Der Unterschied ist für mich, dass dieses Werk alle vier Filme mit Daniel zu einer Geschichte zusammenführt und er damit eine Reise beendet.“ Der Film wäre sicherlich ein würdiger Abschieds-Bond für Daniel Craig. Noch hat sich Craig nicht entschieden, ob er zum fünften Mal den Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten verkörpern wird. Genervt sprach er in einem Interview kurz nach Beendigung der Dreharbeiten davon, sich lieber die Pulsadern aufschneiden zu wollen. Eins ist jedoch sicher: James Bond will return!

SPECTRE: Kinostart: 05. November 2015, ab 03. März 2016 auf Blu-ray, DVD und Digital HD

Links:
Sam Mendes im Interview (ZDF, 26.10.2015)
20 Millionen US-Dollar aus Mexiko (Tax Analysts, 03.03.2015)
Der längste Werbespot der Welt (FAZ, 26.10.2015):
Hackerangriff auf Sony (SPON, 17.04.2015)
Das älteste Bond-Girl aller Zeiten (Gala, 26.10.2015)
Einspielergebnisse der James-Bond-Filme (The James Bond Dossier)
Daniel Craig will sich lieber die Pulsadern aufschneiden. (Timeout, 07.10.2015)



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Version vom 24. April 2016.